The significance of the Second World War for Lebanon

How is the Second World War remembered seventy years after it ended? The Max Weber Foundation, of which we are part, gives sinoinsights into how the war is remembered in the host countries of its institutes. In an interview with Charlotte Jahnz, historian Abdel Raouf Sinno – long-time friend of the OIB (Orient Institut Beirut) and former member of our advisory council – speaks about the significance of the Second World War for Lebanon.

Befreiung? Sieg? Niederlage? Interviews zum Kriegsende  6
Libanon

mws – Charlotte Jahnz

Im Rahmen des 70. Jahrestags des Kriegsendes in Europa eröffnet die Max Weber Stiftung einen Einblick in die Erinnerungskultur der Gastländer ihrer Institute. Neben einer Auseinandersetzung mit dem Gedenken an 1945 geben wir auch einen kurzen Einblick in die jeweiligen Forschungstendenzen zum Zweiten Weltkrieg. Abdel Raouf Sinno ist Historiker und Professor für Geschichte der Moderne und Gegenwart an der Libanesischen Universität. Er ist ehemaliges Beiratsmitglied des Orient-Instituts Beirut. In den letzten Jahren hat er u.a. zwei Monografien zum Libanon veröffentlicht, „Lebanon War 1975-1990“ (Beirut, 2008) sowie das kürzlich in der OIB-Serie Beiruter Texte und Studien erschienene Werk „Lebanon after the Ta’if Agreement. Cohabitation, Sovereignty and Foreign Interference in a Sectarian State“ (Beirut, 2014; 2nd ed. 2015), und hatgemeinsam mit Rainer Zimmer-Winkel „Der Libanon Heute“.(Trier, 2000) herausgegeben

Abdel Raouf Sinno, Historiker und Professor für Geschichte der Moderne und Gegenwart an der Libanesischen Universität

Herr Sinno, Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Libanon offiziell unabhängig – stellt der Zweite Weltkrieg eine Zäsur in ?  der Geschichte des Libanons dar

Der Krieg stellt in jedem Fall einen Wendepunkt in der Geschichte des Libanons dar: einerseits ist der Kampf für die Unabhängigkeit des Libanons von der Mandatsmacht Frankreich zu nennen und andererseits die Vereinbarung zwischen den Christen und Muslimen über ihr Zusammenleben durch den  sogenannten mündlichen „Nationalpakt“ 1943

Die Freie Französische Regierung hatte den Libanesen im Juni 1941 (während ihres Feldzugs mit Großbritannien gegen Syrien und Libanon unter Vichy Regierung) das Versprechen gegeben, das französische Mandat im Libanon zu beenden. Dieses Versprechen wurde von den Libanesen genutzt, um den Kampf für die Unabhängigkeit ihres Landes zu stärken. Frankreich jedoch hielt nach der Besetzung Syriens und des Libanons seine Verpflichtungen nicht ein und versuchte, alle seine Mandatsbefugnisse im Libanon und die intérêts communs beizubehalten in der Absicht, einen neuen Vertrag mit dem Libanon abzuschließen, der regeln sollte, dass Frankreich seine Truppen im Lande stationieren durfte und dadurch weitere Dominanz im Libanon ausüben konnte. Auf britischen Druck wurde Frankreich dazu gezwungen, die Libanesen im Spätsommer 1943 ihre Parlamentsmitglieder wählen zu lassen. Die Allianz von Beschara El-Khoury (der Verfassungsblock), der nicht gegen eine Zusammenarbeit mit den arabischen Staaten war, und Riyadh El-Solh, einem sunnitischen Führer, gewann die Wahlen und bildete eine neue Regierung. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ist der „Nationale Block“ von Emil Edde, der für die französische Präsenz im Lande plädierte und eine ablehnende Haltung gegenüber dem Arabismus einnahm. Die Mehrheit der Muslime, die Frankreich aus historisch-religiösen Gründen kritisch gegenüber standen, waren für die Beendigung des Französischen Mandats

Parallel dazu kamen die christlichen und muslimischen Führungen im Nationalpakt von 1943 zu einer Vereinbarung über ihre Koexistenz und die Verwaltung ihrer Nation. Nach einer im Nationalpakt bestimmten Formel (al-Şigha), wurden die Regierungsämter proportional gemäß der Bevölkerungszahl jeder der sechs größten Religionsgemeinschaften verteilt. Dementsprechend wurde den Maroniten die Staatspräsidentschaft, den Schiiten der Parlamentsvorsitz und den Sunniten das Amt des Premierministers zugeteilt

Schon bald nach der Regierungsbildung von El-Khoury und El-Solh begann der Libanon Verhandlungen mit Frankreich, um die legislativen und exekutiven Behörden von Frankreich übertragen zu bekommen. Währenddessen verabschiedete das libanesische Parlament, ermutigt durch die Engländer, am 8. November 1943 eine Verfassungsänderung, die das französische Mandat annullieren sollte. Der Staatspräsident El-Khoury genehmigte diese Änderungen, die am nächsten Tag im Amtsblatt veröffentlicht wurden. Als Reaktion auf die einseitige Entscheidung des libanesischen Parlaments setzten die französischen Mandatsbehörden die libanesische Verfassung außer Kraft, lösten das Parlament auf und ernannten Emile Edde als Staatsoberhaupt. Außerdem verhaftete sie den Präsidenten, den Ministerpräsidenten und vier bekannte Persönlichkeiten (drei von ihnen Minister) in der Zitadelle von Raschayya, eine Ortschaft nahe der syrischen Grenze

Die Verhaftung der libanesischen Führung stellt ein Symbol des Unabhängigkeitskampfes für die Befreiung von der französischen Hegemonie dar. Die libanesische Gesellschaft, die normalerweise unter sich konfessionell gespalten war, vereinte sich; Religionsgemeinschaf- ten, Parteien und große Teile der Bevölkerung kämpften gegen die französische Besetzung. Zwei Minister, die nicht verhaftet worden waren, Habib Pascha Al-Saad und Majid Arslan, ermutigt und unterstützt von General Spears, britischer Minister in Beirut, gründeten eine Exilregierung in der Ortschaft Beschamoun. Unter britischem und amerikanischem sowie arabischen Druck war Frankreich gezwungen, die Gefangenen freizulassen. Sie kehrten am 22. November 1943 als Helden nach Beirut zurück. Der Libanon gewann durch diese Konfrontation und das Datum wird jährlich von den Libanesen als Unabhängigkeitstag gefeiert

Die Alliierten besetzten den Libanon bis 1946, spielt das Jahr 1945 in der Erinnerungskultur eine Rolle?

Am Ende des Jahres 1946 wurde der Libanon endlich von jeglicher Fremdmilitärpräsenz in seinem Hoheitsgebiet befreit. Nachdem der Libanon eine wirtschaftliche Erholung erlebt hatte, führte der Zweite Weltkrieg bis zum Jahre 1945 zu einer Verstärkung seiner Wirtschafts- und Handelsrolle. Kennzeichnend dafür waren die neuen Industriesektoren, deren Fortschritt zu Wohlstand führte. Dabei spielten Blockierungen der Seewege, die Knappheit der Exportgüter in den großen Industrieländern und die Stationierung fremder Truppen auf libanesischem Territorium eine Rolle für die Entstehung einer neuen libanesischen Industrie, wie z.B. der Ölraffinerie in Tripolis, der Textil- und Lebensmittelindustrie, Gerbereien aber auch der Produktion von Glas, Karton, Papier, und Haushaltprodukten. Das Jahr 1945, stellte den Höhepunkt dieses Booms dar. Seit dem Kriegsende im Jahr 1945, ging die Industrieproduktion allerdings zurück, vor allem in der libanesischen Tabakindustrie, infolge der Einfuhr von ausländischem Tabak. Die Schifffahrt im Hafen von Tripoli ging mit dem Abzug der ausländischen Truppen ebenfalls zurück. Demgegenüber behielten der Hafen von Beirut sowie der Flughafen ihren Status bei. Im Jahr 1945 hat Großbritannien im Libanon den Sterlingbereich eingeführt. Dieser Schritt verstärkte die libanesische Wirtschaft

Im Zeitraum zwischen 1943 und 1945 bekam der Libanon seine Vorrechte von Frankreich zurück und wurde dadurch ein souveräner Staat. Die Übergabe der intérêts communs (Zoll, Post, Eisenbahnen usw.) an den Libanon, enthob den Libanon von vielen finanziellen Belastungen. Am 1. August 1945 wurde den libanesischen Autoritäten das Oberkommando über ihre Militäreinheiten übertragen. In Bezug auf die Außenbeziehungen unterzeichnete die libanesische Regierung am 22. März die Charta der “Arabischen Liga”, und die “Charta der Vereinten Nationen“ am 26 Oktober des gleichen Jahres

Wie wird im Libanon an den Zweiten Weltkrieg erinnert?

Die Libanesen gedenken offiziell und gesellschaftlich dem Kampf gegen das Französische Mandat, sowie der britischen und arabischen Unterstützung für Ihr Vorhaben. Auch wird an die Vichy-Regierung erinnert. Im Libanon wird jährlich der Verhaftung der libanesischen Führung durch die Franzosen gedacht und im Anschluss daran deren Freilassung aufgrund von internationalem Druck und Demonstrationen, welche die Franzosen zwangen, die libanesische Unabhängigkeit anzuerkennen. In diesem Zusammenhang wird auch das Entstehen der nationalen Flagge und deren Anbringung auf dem Parlamentsgebäude im Zentrum von Beirut anstelle der französischen Flagge gefeiert. Das Datum des 1. August 1945, an dem Frankreich die libanesischen militärischen Einheiten an die libanesische Regierung übergab, ist ein jährlicher Feiertag. Aus einer wirtschaftlichen Perspektive erinnern sich viele Libanesen auch an die Arbeit in den Fabriken und Kasernen der Britischen Armee in Palästina

Welche Schwerpunkte wünschen Sie sich in der libanesischen Forschung zum Zweiten Weltkrieg ausmachen?

Bezüglich der Forschung zum Zweiten Weltkrieg sollten Themen wie das Gedeihen der libanesischen Wirtschaft und der Aufschwung der Industrie zwischen 1941-1945 mehr Beachtung finden. Weitere mögliche Forschungsschwerpunkte sind die national-konfessionelle Einheit gegen das Französische Mandat 1943, der Konflikt zwischen Großbritannien und Frankreich im Libanon 1941-1945 und sein Einfluss auf die libanesische Nationalbewegung, die offizielle und die gesellschaftliche Haltung gegenüber dem Eintritt des Libanons in die Arabische Liga und die Ablehnung des arabischen Einheitsprojekt der Haschemitischen Monarchie im Irak. Auch Bestrebungen im libanesischen Maronitentum für die Verkleinerung des Libanon, d.h. des Wiederbelebens eines christlichen Mutasarifiat (osmanische Verwaltungseinheit, vergleichbar einer Provinz) wären eine Untersuchung wert, sowie Forschung zu den Gräbern der alliierten Soldaten in den libanesischen Städten, Beirut, Tripoli, und Riyaq, sowie dem Schmuggel von Juden nach Palästina durch den Libanon

Wissen in Verbindung, Max Weber Stiftung, 2015.

Befreiung? Sieg? Niederlage? Interviews zum Kriegsende (6): Libanon

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